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„Wir müssen Glaubwürdigkeit zurückgewinnen“ – Fazit der Diskussion „Prekäre Arbeit“

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Am Dienstag war nun endlich der große Tag gekommen: die gemeinsame Veranstaltung der AfA’n aus Treptow‐Köpenick, Charlottenburg‐Wilmersdorf, Tempelhof‐Schöneberg und Reinickendorf zum Problemkomplex der verbreiteten Tarifvertragsfreiheit und deren Folgen in öffentlichen oder assoziierten Betrieben und Einrichtungen.
Ein vollbesetzter Wilhelm-Leuschner-Saal, ein konzentriertes Publikum, eine Reihe engagierter BerichterstatterInnen aus den Betriebsräten und Gewerkschaftsgruppen sowie ein Podium von erheblichem politischen Potenzial. Alles angerichtet also für ein Thema, das – wie der Abend zeigen sollte – noch seiner Priorisierung auf der landespolitschen Agenda harrt.

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Stellvertretend für die hochinformativen und stellenweise erschütternden Beiträge der KollegInnen seien hier die Berichte von Kati Ziemer (Betriebsrätin CFM), Volker Gernhard (Vivantes) und Kerstin Laux (Technikmuseum) angeführt. In ihren Aussagen spiegeln sich die eklatanten Verschlechterungen, die für die Beschäftigten aus den Ausgründungen und Überführungen resultieren: die im dreistelligen Millionenbereich liegenden Einsparvorgaben durch die Charité erzwang die CFM in erster Linie durch eine Reduzierung des Personalstandes und eine Lohnpolitik, die sich erst durch einen massiven Streik 2011 zu einer Lohnuntergrenze von 8,50 Euro bereitfand.
Innerhalb des Vivantes-Konzerns finden sich mittlerweile 14 Tochtergesellschaften teilweise im tarifvertragsfreien Zustand, demnächst sollen die PhysiotherapeutInnen als erster „weißer Bereich“ dazukommen.
In beiden Unternehmen führt die Politik der Vorstände zu einer massiven Überlastung der MitarbeiterInnen, die sich in alarmierend hohen Krankenständen spiegelt, es aber für die Häuser inzwischen auch schwierig macht, neues Personal zu gewinnen.
Kerstin Laux beschrieb für das Technikmuseum (als Teil des kulturellen Bereichs) ähnliche Phänomene: zusätzlich werden dort die erheblichen tariflichen Differenzen und die notorischen Befristungen vom Stiftungsvorsitz in schönster zynischer Offenheit als Methode zum Gegeneinanderausspielen der Beschäftigten bestätigt.
Sven Meyer war es dann vorbehalten, nach der Mitverantwortung der Partei für diese Auswüchse zu fragen: regelmäßig beschließe der Landesparteitag Anträge zu guter Arbeit, zu Tariftreue und gegen Dumpinglöhne, nur um diese dann als Senatspolitik nicht durchzusetzen.
Mit diesem Konflikt schuf er die Vorgabe, der sich die beiden anwesenden Kandidaten zur Wahl des künftigen Regierenden Bürgermeisters (Jan Stöß und Raed Saleh; Michael Müller hatte wegen eines Termins in Übersee absagen müssen) stellen mussten.

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Die beiden Kandidaten wählten unterschiedliche Ansätze in ihren Antworten: Jan Stöß nahm die Beiträge seiner Vorredner/innen detailliert auf und bestätigte den KollegInnen die Unhaltbarkeit der Zustände an ihren Arbeitsplätzen („mittelenglischer Kapitalismus“). Gleichzeitig räumte er indirekt ein, von dieser Problematik komplett überrascht worden zu sein, was angesichts der insbesondere durch die Gewerkschaften seit Jahren betriebenen Informationsoffensive („Berlin – Hauptstadt der prekären Beschäftigung“¹) etwas irritiert.
Raed Saleh wiederum hielt sich nicht lange mit dem zuvor Gesagten auf. Statt dessen machte er einerseits den Koalitionspartner für die Stagnation in den Arbeitsbeziehungen verantwortlich; zum anderen brandmarkte er mit drastischen Worten aber auch gerade die Hartz-Gesetze, mit denen sich die Partei gegenüber ihrer Stammwählerschaft einen massiven Ballast aufgeladen habe. Ein generelles Glaubwürdigkeitsproblem charakterisiere aktuell die Außendarstellung der SPD.
Dem werden zwar die meisten GenossInnen an diesem Abend zustimmen können, hatten aber damit nicht die die Partei seit über einem Jahrzehnt quälende Diskussion um ALG II und den sinkenden Wohlstandsanteil der abhängig Beschäftigten vergessen, die als immer wiederkehrende Motive für die strukturell abnehmende Wählerschaft der SPD genannt werden.
Konkrete Aussagen jenseits einer allgemeinen Änderungsnotwendigkeit blieben beide Kandidaten an diesem Abend leider schuldig.

¹ Berlin – Hauptstadt der prekären Beschäftigung, DGB 2008 (PDF)

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