„Arm aber sexy“ haut ohne Industrie nicht hin

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Industrie in Berlin

Industrie in Reinickendorf – zu diesem Thema diskutierten 20 Mitglieder der AfA Reinickendorf, der Reinickendorfer Arbeitsgemeinschaft für Selbständige und der Abteilung Borsigwalde/Tegel-Süd mit Andreas Buchwald, dem Gewerkschaftssekretär der IG Metall für den Berliner Norden und Nordosten.

Die politische Wende war nach 1990 für Berlin verbunden mit einem drastischen Abbau der Industrie und der industriellen Arbeitsplätze. Sie sank von rd. 500.000 Beschäftigten bis auf ihren Tiefpunkt von rund einem Fünftel im Jahr 2005. Zur Zeit sind in Berliner Industriebetrieben ca.107.000 Menschen beschäftigt. Der Stand der industriellen Produktion wirkt sich in besonderer Weise auf den Gesamtarbeitsmarkt aus: An jedem Arbeitsplatz in der Industrie hängen 2 – 4 Positionen in anderen Bereichen. Insofern ist prosperierende Industrie besonders bedeutsam für die wirtschaftliche und soziale Gesamtsituation. Andreas Buchwald kritisierte in diesem Zusammenhang die Äußerung des ehemaligen Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit,

dass Berlin „arm, aber sexy“ sei: Ohne Industrie haue das nicht hin. Heftigere Kritik äußerte er an der ehemaligen CDU-Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer. Eine Industriepolitik habe es mit ihr nicht gegeben.

Industriezentrum Reinickendorf

In Reinickendorf, stellte Buchwald fest, gibt es derzeit neben einer ganzen Reihe von stabilen mittleren Betrieben auch etliche bedeutende große Industriebetriebe: MAN mit rd. 400 Beschäftigten, ZF, die Zahnradfabrik Friedrichshafen mit ihrem Standort in der Hermsdorfer Straße, einer der weltweit führenden Getriebehersteller, mit ca. 400 Beschäftigten, G-Elit in der Lengeder Straße, ein weltweit renommierter Hersteller von Produktionswerkzeugen mit ebenfalls rund 400 Beschäftigten und der Tegeler Traditionsbetrieb Borsig mit ca. 160 Beschäftigten. Mit der Verlagerung von Knorr Bremse nach Marzahn verliere Reinickendorf ca. 276 Arbeitsplätze.

Diesen Betreib bezeichnete Buchwald als „gewerkschaftsfeindlich“, weil er aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten sei und damit nicht der Tarifbindung unterliege. Das habe zu einer Arbeitszeiterhöhung auf 42 Wochenstunden ohne Lohnausgleich geführt, gegen die die Belegschaft mit der IG Metall heftig protestierte.

Generell bemängelte Buchwald die mangelnde Innovationsfreudigkeit der Berliner Industrie. Er führte dies auf die schlechte Kooperation zwischen den Hochschulen und Universitäten zurück, es gebe schlechthin keinen Technologietransfer.

Auch zum aktuellen Thema der Schließung des Flughafen Tegel nahm Buchwald aus industrie-politischer Sicht Stellung. Nicht nur wegen der für eine DGB-Gewerkschaft wichtigen Errichtung von 9000 neuen Wohnungen, sondern auch besonders wegen des geplanten Forschungs- und Technologieparks, in dem 20.000 Arbeitsplätze im Bereich der Zukunftstechnologien geschaffen werden sollen, wäre ein Weiterbetrieb eine vertane Zukunftschance für Berlin. Für die Beuth-Hochschule, die auf dem Flughafengelände einen neuen Campus für Tausende von Studierenden erhalten soll, käme der Weiterbetrieb von Tegel einem Aus für die Hochschule gleich.

Facharbeitermangel durch mehr Ausbildung beheben

Einen breiten Raum in der Diskussion nahm das Thema „Ausbildung“ ein. Andreas Buchwald konzedierte zwar, dass zahlreiche Betriebe gut und engagiert ausbilden, zu viele Betriebe jedoch würden nicht ausbilden. Gerade bei dem von der Industrie oft und lautstark beklagten Fachkräftemangel sei eine Erhöhung der Ausbildungsbereitschaft erforderlich. Die mangelnde Ausbildungsbereitschaft führte Buchwald ganz grundsätzlich auf das kurzfristige Denken des Managements in vielen Betrieben zurück, das statt langfristiger Planung auf rasch realisierbare Gewinnorientierung setze. Als zweite Ursache gab er an, dass sich viele Betriebe mit der Ausbildung und ihren komplexen Inhalten überfordert fühlen. Hier sei die Verbundausbildung das richtige Instrument, um diese Betriebe an die Ausbildung heranzuführen. Diese müsse gestärkt werden. Auch für den schulischen Teil der dualen Ausbildung fordere die IG Metall eine Verbesserung; mangelnde Qualifizierung dürfe nicht durch Absenkung des Qualifikationsniveaus übertüncht werden. Zur Behebung des Lehrermangels an den Berufsschulen empfahl er zur Steigerung der Attraktivität dieses Berufs eine bessere Bezahlung.

Buchwald übte Kritik an der Arbeit der in Berlin nach Hamburger Vorbild neu eingeführten Jugend-berufsagentur. Die Jugendlichen in Berlin besuchen die Jugendberufsagentur auf freiwilliger Basis. Viele Schulabsolventen hätten jedoch eine Scheu, eine Behörde aufzusuchen und würden deshalb ganz davon absehen. In Hamburg könne die Jugendberufsagentur auf die Schülerdateien zurückgreifen und sich direkt an die Jugendlichen wenden. Dies wünsche er sich auch für Berlin.

Ältere Arbeitnehmer fit halten

Andreas Buchwald stellte deutlich die Bedeutung der älteren Beschäftigten in der Industrie heraus: Ihre Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen seinen wertvoll für die Betriebe, ihre Arbeits-situation müsse so ausgestaltet werden, dass sie ihre Arbeitskraft optimal in den Betrieb einbringen können. Dazu gehöre insbesondere der Gesundheitsschutz, der gesetzlich verankert ist. Die Betriebsräte würden in den Schulungen ständig auf die Bedeutung und Einhaltung dieses bedeutsamen Gesetzes hingewiesen. Das Recht auf Weiterbildung, deren finanzielle Absicherung und Anspruchsberechtigung auf Feistellung für Weiterbildungsmaßnahmen sind grundsätzlich in einem Tarifvertrag geregelt. Konkretisierungen dazu sollen erfolgen.

Netzwerkbetreuer in die Bezirke

In seinem Abschlussstatement forderte Andreas Buchwald die Bezirke auf, für die Beratung der Betriebe „Netzwerkbetreuer“ einzusetzen. Diese sollten die Betriebe bei ihrer organisatorischen und technologischen Weiterentwickeln beraten und fördern. Es sei dringend notwendig, gerade kleinen Betrieben ein solches Angebot zu machen, mit dem Berater in die Betriebe gehen und dort nachfragen, „wo der Schuh drückt“.

Gabi Thieme-Duske

 

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